(1) Nach wenigen Tagen kam Sextus Tarquinius ohne das Wissen des Collatiners mit einem einzigen Begleiter nach Collatia.
(2) Als er dort von denen, die seinen Plan nicht kannten, freundlich empfangen worden war und er nach dem Essen in das Gastzimmer hinab geführt worden war, ging er, der vor Liebe brannte, mit gezogenen Schwert zur schlafenden Lucretia, nachdem es rundherum genügend sicher und alle eingeschlafen schienen, und sagt, nachdem er mit der linken Hand die Brust der Frau niedergedrückt hatte: „ Schweig, Lucretia. Ich bin Sextus Tarquinius. Ich habe ein Schwert in der Hand. Du wirst sterben, wenn du einen Laut von dir gibst.“
(3) Als die Frau ängstlich aus dem Schlaf gerissen keine Hilfe sah und schon fast den drohenden Tod vor sich sah, dann gestand Tarquinius seine Liebe, verlegte sich aufs Bitten, vermischte die Drohungen mit Bitten und setzte (dem Gemüt) der Frau von allen Seiten zu.
(4) Sobald er sah, dass sie hartnäckig blieb und nicht einmal aus Furcht vor dem Tod nachgab, fügte er zur Furcht Schande hinzu. Er sagte, dass er neben die Tote einen nackten Sklaven legen werde, nachdem er diesem die Kehle durchgeschnitten hatte, sodass man sagt, sie wurde beim schimpflichen Ehebruch getötet.
(5) Als die siegreiche Begierde nach diesem Schrecken die hartnäckige Keuschheit gewissermaßen mit Gewalt besiegt hatte und Tarquinius daraufhin stolz nach Eroberung der weiblichen Ehre aufgebrochen war, schickte Lucretia traurig über ein so großes Unglück die Botschaft nach Rom zu ihrem Vater und nach Ardea zu ihrem Mann, damit sie mit den einzelnen treuen Freunden kämen. In dieser Lage sei es notwendig schnell zu handeln. Es habe sich eine schreckliche Tat ereignet.
(6) Spurius Lucretius kam mit Publius Valerius dem Sohn des Volesius und der Collatiner mit dem Lucius Junios Brutus, mit dem er zufällig, als er nach Rom zurückkehrte, die Botschaft der Ehefrau erhalten hatte.
(7) Sie fanden Lucretia traurig im Schlafzimmer sitzend vor. Bei der Ankunft ihrer Angehörigen brach sie in Tränen aus und sagt auf die Frage des Mannes: „Steht alles gut?“ – „Nein, überhaupt nicht. Wie kann es nämlich der Frau nach dem Verlust ihrer Keuschheit gut gehen? Die Spuren eines fremden Mannes, Collatinus, sind in deinem Bett. Übrigens ist nur der Körper verletzt, der Geist ist unschuldig. Der Tod wird Zeuge sein. Aber gebt mir Hand und Wort, dass es für den Ehebrecher nicht straflos ausgehen wird.
(8) Es ist Sextus Tarquinius, der als Feind anstatt als Freund in der letzten Nacht gewaltsam bewaffnet die Verderben bringende Freude für mich und für ihn, wenn ihr Männer seid, von hier weggetragen hat.
(9) Sie geben alle der Reihe nach ihr Treuewort. Durch das Abwenden der Schuld von der Gezwungenen auf den Urheber des Verbrechens trösten sie die Traurige. Der Geist sündige, nicht der Körper und wo ein Plan gefehlt habe, sei keine Schuld.
(10) Sie sagt: „ Hoffentlich habt ihr gesehen, was jenem geschuldet wird. Auch wenn ich mich von der Schuld freispreche, befreie ich mich nicht von der Todesstrafe. Es wird keine Frau daraufhin nach dem Beispiel der Lucretia (weiter)leben.
(11) Das Messer, das sie unter ihrer Kleidung verborgen hielt, stieß sie in ihr Herz und sie sank nach vorne und fiel sterbend auf ihre Wunde. Ihr Mann und ihr Vater klagten gemeinsam.